Kreativer Umgang mit Zweitwohnungen

Bericht aus der NZZ Online:

Kreativer Umgang mit Zweitwohnungen

Das Beispiel Österreich zeigt, wie Quoten umgangen werden

Ein Haus im österreichischen Skiort Lech am Arlberg. (Bild: NZZ/Christian Langbehn)
Ein Haus im österreichischen Skiort Lech am Arlberg. (Bild: NZZ/Christian Langbehn)

Österreich zeigt, wie Tourismusregionen praktisch mit Quoten für Zweitwohnungen umgehen. In vielen Orten liegt ihre Zahl bei einem Mehrfachen des Erlaubten, und für die lokale Wirtschaft sind sie lebenswichtig.

Matthäus Kattinger, Wien

Die vom Schweizer Souverän gebilligte Initiative gegen den ausufernden Bau von Zweitwohnungen hat sich die Restriktionen in Tirol und Salzburg zum Vorbild genommen. Dort sind neue Zweitwohnungen nur in Gemeinden erlaubt, in denen deren Anteil 8 Prozent (Tirol; seit 1997) bzw. 10 Prozent (Salzburg; seit 1992) nicht übertrifft. Wie offizielle Daten des Landes Tirol für 2010 zeigen, ist Papier geduldig. Neben Ausreissern, wie den für alpine Inszenierungen bekannten Gemeinden Ischgl und Serfaus mit Zweitwohnungsanteilen von 95 bzw. 75 Prozent, liegen diese auch anderswo, in Walchsee (70 Prozent) oder Gerlos (61 Prozent), bei einem Mehrfachen des Erlaubten. Nicht zu denken an Kitzbühel, wo der Bezirk im Schnitt einen Zweitwohnungsanteil von 35,2 Prozent erreicht. Die Stadt selbst kommt auf 58,2 Prozent.

Obergrenze als Papiertiger

Ähnlich ist es im Land Salzburg, wo trotz 10-Prozent-Barriere der Anteil der Zweitwohnungen in St. Gilgen (Wolfgangsee), in den Gemeinden am Fusse des Hochkönigs, in Saalfelden, Lofer, Krimml oder Gastein jenseits von 30 Prozent liegt. Im Unterschied zu Tirol und Salzburg gibt Vorarlberg keine Maximalquote vor, überlässt es den Gemeinden, Bestand bzw. Zustrom über Zonenpläne zu steuern. In Lech stehen 1598 Einwohnern 400 Zweitwohnungen gegenüber – obwohl sich der Ort einer konsequenten Strategie in Richtung Qualitätshotellerie rühmt.

Sind also Tirols und Salzburgs Obergrenzen reine Papiertiger? Schafft sich bei Zweitwohnsitzen trotz strikten Beschränkungen jede Nachfrage das Angebot? Sicherlich sind ein grosser Teil der Zweitwohnungen langjähriger Bestand. Doch sind es nicht nur Ausnahmen, die für Zuwächse in den attraktivsten Destinationen sorgen. Im jüngsten «Bericht zur Lage des Grund-Verkehrs in Tirol» schreibt sich der Referent des Amtes der Landesregierung seine Frustration von der Seele. Bei Kontrollen in Verdachtsfällen müsse er immer wieder feststellen, dass trotz schriftlicher Erklärung, keine Zweitwohnung zu schaffen, die Immobilie als Freizeit-Wohnsitz genutzt werde. Konsequenzen bis zur Versteigerung des Objektes sind nur möglich, wenn die Bezirksverwaltung die illegale Nutzung «schlüssig» nachweist. 2010 wurden immerhin 91 Verfahren eingeleitet. In Lech ist Bürgermeister Ludwig Muxel einen Schritt weiter. Auch wenn seit Jahren keine neuen Zweitwohnungen genehmigt wurden, hat sich am Problem nichts geändert. Deshalb engagierte Muxel Ende 2011 einen Zweitwohnungs-Kontrolleur. Dieser überprüft nicht nur alle Hauptwohnsitze, die im Verdacht stehen, illegale Zweitwohnungen zu sein, sondern untersucht auch, ob als touristisch deklarierte Wohnungen dauerhaft vermietet werden. Der Detektiv könnte Schule machen, Muxel berichtet von Anfragen aus anderen Gemeinden.

Die Kreativität zur Umgehung der Barrieren ist unerschöpflich. Da werden staatlich geförderte Hotelprojekte inklusive Appartements eingereicht, etliche der Wohneinheiten aber an zahlungskräftige Hotelgäste verkauft. Oder: Bei als Investoren-Modellen gestalteten Feriendörfern werden aus der vereinbarten Vermietung zu touristischen Zwecken Zweitwohnungen. Oder es wird schon beim Kauf einer Ferienimmobilie vereinbart, dass der Makler das Objekt in der nicht privat genutzten Zeit vermietet, dieses also als «gewerblich genutzt» einzustufen ist. Nur so lässt sich das grosse Angebot von Ferienimmobilien für touristische «Sperrbezirke» von Salzburg bis an den Arlberg erklären. Laut Phillip Reisinger von Kitzpichl Realitäten in Kitzbühel nehmen Nachfrage und Angebot besonders von Luxusimmobilien weiter stark zu. Ein Realitäts-Check erhärtet dies: Die Homepage von Immobilien Michaela Schroll, Kitzbühel, einem von 40 (!) Immobilienmaklern in Kitzbühel, listet 40 kauf- bzw. mietbare Objekte (meist Luxuskategorie) auf, wovon nur 4 als Zweitwohnung deklariert sind.

Dass der Kampf gegen Zweitwohnungen halbherzig geführt wird, zeigt der Rückzieher bei der Abgabe auf Zweitwohnungen, die als Zusatz zur obligaten Abgabe auf Ferienwohnungen gedacht war. Die rechtliche Basis wäre seit 1993 gegeben. Einige Länder hatten auch bereits Entwürfe in der Schublade, setzten diese aber nicht um. Sie fürchteten den Widerstand der Einheimischen. Die generelle Abgabe auf Ferienwohnungen wird in Vorarlberg, Tirol, Salzburg, Kärnten, der Steiermark und dem Burgenland an der Wohnfläche bemessen, in Nieder- und Oberösterreich an der Zahl der Personen. In Lech etwa beträgt die jährliche Abgabe 7 Euro 84 pro Quadratmeter für die ersten 70 Quadratmeter, darüber hinaus 3 Euro 88 pro Quadratmeter.

Sosehr unerfreuliche Nebenwirkungen von Zweitwohnungen kritisiert werden, so will kaum jemand auf deren positive wirtschaftliche Effekte verzichten. Laut Erhebungen kommen 89 Prozent der Vorleistungen und Zulieferungen im österreichischen Tourismus (und wohl auch bei Zweitwohnungen) aus dem Ort bzw. der Region. Handwerker und Dienstleister in Tourismusregionen profitieren von Neubauten, Umbauten oder Renovierungen. Nicht zu vergessen die Einnahmen der Gemeinden aus der Handänderungssteuer: Die 3,5 Prozent vom Kaufpreis, die pro Transaktion zu entrichten sind, fliessen fast zur Gänze in die Gemeindekasse.

Friedliche Koexistenz

Selbst führende Repräsentanten der Hoteliers räumen ein, dass nicht nur Zweitwohnsitze viele Wochen im Jahr leer stehen, sondern auch viele Hotels. Statistik Austria errechnete für alle Beherbergungsbetriebe eine durchschnittliche Bettenauslastung von nur 31 Prozent für 2011, was nur 16 ausgelasteten Wochen pro Jahr entspricht. Dabei reicht der Rahmen von 52 Prozent für Fünf- bzw. Viersternhotels bis zu 21,3 Prozent bei gewerblichen Ferienwohnungen – das sind 11 Wochen, was auch viele Zweitwohnungen «schaffen». Daher ist vielerorts die Frontstellung einer Art friedlichen Koexistenz gewichen. So heisst es im «Tourismus-Leitbild» für Vorarlberg, innerhalb bestimmter Grenzen könnten Zweitwohnungen sinnvolle Ergänzungen zum übrigen Bettenangebot sein.

Die Kommentare sind geschlossen.